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Samstag, 13. September 2014

Die Spuren in der Zeit


Wir alle hinterlassen Spuren während unseres Daseins, die auch bleiben, nachdem wir die Ebene gewechselt haben. Diese Spuren können sehr blass oder sehr stark vorhanden sein. In diesen Tagen begegnete ich den Spuren meiner Eltern und das berührt mich immer wieder und immer sehr stark.

Meine Mutter war eine künstlerisch begabte Frau, die alles was sie stark bewegte in Verse und Gedichte eingeflochten hat. Ja, sie schrieb Gedichte. Mein Vater aber übernahm damals die Aufgabe, diese Gedichte, mit Mamas Handschrift geschrieben, mit seiner alten Schreibmaschine abzutippen und ordentlich in die Sammelmappe abzulegen. Mit der Zeit haben sich dort hunderte von Gedichten angesammelt. Als meine Mutter 1995 diese Existenzebene verlassen hat, nahm meine Tochter diese Gedichte in Aufbewahrung. Damals hat sie ein Versprechen gegeben, dass sie alle diese Gedichte irgendwann und irgendwo in Form eines Buches herausgeben lassen wird. Damals hatte sie nicht im Traum daran gedacht, dass sie selbst eines Tages einen Verlag führen wird. Aber die Schicksalswege sind nicht einmal zu erahnen.

Es ist die Zeit gekommen dieses Versprechen einzulösen, aber die Gedichte müssen zuerst in den PC abgeschrieben werden. Sie bat mich, diese Aufgabe zu übernehmen und ich willigte ein.
Vor mir auf dem Tisch liegt eine abgenutzte, durch die Zeit, einst weiße, jetzt gelb gewordene Sammelmappe. Ich wage nicht sie zu öffnen, sondern schaue sie nur an. Mein Herz schlägt schneller. Mir ist es so als ob die Mappe ein lebendiges Wesen ist, das auch Augen hat und zurückschaut. Ich fühle mich beobachtet. Ich wusste, sobald ich die Mappe aufschlage, werden mir entgegen die Erinnerungen zufliegen, mich umhüllen und in die Vergangenheit entführen. Ich weiß nicht wie lange ich so da saß. Endlich streckte ich die Hand aus und öffnete die Sammelmappe. Die Handschrift meiner Mutter! Schön geformte, altertümlich geschriebene Buchstaben. Ein Geruch breitete sich aus diesen alten Papieren aus. Nicht der Geruch nach dem Alter, wie es zu erwarten wäre, nein. Ich roch den Geruch meiner Mutter. So lieblich, so vertraut… und ich sah sie vor mir am Tisch sitzen, sie lächelte mich an. Ich war zu tiefst berührt und konnte meine Tränen nicht zurückhalten. Irgendwie war das so real, so wirklich als ob sie tatsächlich hier wäre. Die Erkenntnis schoss durch mein Kopf: natürlich ist sie jetzt hier! Und sie war nicht allein. Mein Vater war auch hier. Auch ihn sah ich, wie er diese Gedichte abschreibt, hörte das Klappern seiner alten Schreibmaschine wie damals… Ich fühlte mich umarmt, mit Liebe erfüllt, und wurde in dieser Liebe Eins mit den Beiden…

Die Handschrift ist etwas was mehr als alles andere unserer Energie, Teile von unserem Wesen, auf dem Papier gebunden hinterlässt. Auf allem was wir berühren bleibt unsere Energie haften aber nicht so stark und nicht so dauerhaft wie wenn es um handschriftlich geschriebene Zeilen geht. Handschrift ist doch Teil des Wesens. Aus aufgeschriebenen Gedanken einer Person kann man viel über sie erfahren; über ihre Einsichten, Lebensweise, Charakter… aber aus den von Hand aufgeschriebenen Gedanken können wir die Person vor allem auch fühlen. Das sind ihre Abdrücke in der Zeit.   
   

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