Wir alle hinterlassen Spuren während unseres Daseins, die auch bleiben, nachdem wir die Ebene gewechselt haben. Diese Spuren können sehr blass oder sehr stark vorhanden sein. In diesen Tagen begegnete ich den Spuren meiner Eltern und das berührt mich immer wieder und immer sehr stark.
Meine Mutter war eine künstlerisch begabte Frau, die alles
was sie stark bewegte in Verse und Gedichte eingeflochten hat. Ja, sie schrieb
Gedichte. Mein Vater aber übernahm damals die Aufgabe, diese Gedichte, mit Mamas
Handschrift geschrieben, mit seiner alten Schreibmaschine abzutippen und
ordentlich in die Sammelmappe abzulegen. Mit der Zeit haben sich dort hunderte
von Gedichten angesammelt. Als meine Mutter 1995 diese Existenzebene verlassen hat,
nahm meine Tochter diese Gedichte in Aufbewahrung. Damals hat sie ein
Versprechen gegeben, dass sie alle diese Gedichte irgendwann und irgendwo in
Form eines Buches herausgeben lassen wird. Damals hatte sie nicht im Traum
daran gedacht, dass sie selbst eines Tages einen Verlag führen wird. Aber die
Schicksalswege sind nicht einmal zu erahnen.
Es ist die Zeit gekommen dieses Versprechen einzulösen, aber
die Gedichte müssen zuerst in den PC abgeschrieben werden. Sie bat mich, diese
Aufgabe zu übernehmen und ich willigte ein.
Vor mir auf dem Tisch liegt eine abgenutzte, durch die Zeit, einst
weiße, jetzt gelb gewordene Sammelmappe. Ich wage nicht sie zu öffnen, sondern
schaue sie nur an. Mein Herz schlägt schneller. Mir ist es so als ob die Mappe
ein lebendiges Wesen ist, das auch Augen hat und zurückschaut. Ich fühle mich
beobachtet. Ich wusste, sobald ich die Mappe aufschlage, werden mir entgegen die
Erinnerungen zufliegen, mich umhüllen und in die Vergangenheit entführen. Ich weiß
nicht wie lange ich so da saß. Endlich streckte ich die Hand aus und öffnete
die Sammelmappe. Die Handschrift meiner Mutter! Schön geformte, altertümlich
geschriebene Buchstaben. Ein Geruch breitete sich aus diesen alten Papieren aus.
Nicht der Geruch nach dem Alter, wie es zu erwarten wäre, nein. Ich roch den Geruch meiner
Mutter. So lieblich, so vertraut… und ich sah sie vor mir am Tisch sitzen, sie
lächelte mich an. Ich war zu tiefst berührt und konnte meine Tränen nicht
zurückhalten. Irgendwie war das so real, so wirklich als ob sie tatsächlich
hier wäre. Die Erkenntnis schoss durch mein Kopf: natürlich ist sie jetzt hier!
Und sie war nicht allein. Mein Vater war auch hier. Auch ihn sah ich, wie er
diese Gedichte abschreibt, hörte das
Klappern seiner alten Schreibmaschine wie damals… Ich fühlte mich umarmt, mit Liebe erfüllt, und wurde in dieser Liebe Eins mit den Beiden…
Die Handschrift ist etwas was mehr als alles andere unserer
Energie, Teile von unserem Wesen, auf dem Papier gebunden hinterlässt. Auf allem
was wir berühren bleibt unsere Energie haften aber nicht so stark und nicht so
dauerhaft wie wenn es um handschriftlich geschriebene Zeilen geht. Handschrift
ist doch Teil des Wesens. Aus aufgeschriebenen Gedanken einer Person kann man
viel über sie erfahren; über ihre Einsichten, Lebensweise, Charakter… aber aus
den von Hand aufgeschriebenen Gedanken können wir die Person vor allem
auch fühlen. Das sind ihre Abdrücke in der Zeit.
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